Frankfurt am Main, 4. Februar 2023

Eine Meinungsäußerung von engagierten Bürgerinnen und Bürgern Frankfurts zum geplanten Abriss des historischen Dondorf-Druckerei-Gebäudes:

Es ist erfreulich, dass sich auch das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik als neuer Eigentümer Gedanken über eine adäquate Form der Erinnerung an die Geschichte der Dondorfschen Druckerei in Bockenheim macht. Das Institut ist jedoch zu dem Schluss gekommen, die Erhaltung des Gebäudes sei wegen der hohen Kosten nicht in einem wirtschaftlich vertretbaren Rahmen möglich. Es soll also abgerissen werden.

Diese Entscheidung sollte – im Sinne eines städtischen Diskurses – dringend überdacht werden. Denn es gibt in Frankfurt keinen zweiten Ort, an dem die wechselvolle Stadt-, Industrie- und Sozialgeschichte, ebenso wie die spannende Geschichte einer bürgerschaftlich engagierten Familie so plastisch erzählt werden kann.

Es geht um die jüdische Unternehmerfamilie Dondorf, deren Vorfahren Buchsbaum 1499 aus Nürnberg vertrieben, zunächst in der Judengasse des Frankfurter Ghettos siedelten. Deren Nachfahre, der politisch aktive Lithograph Bernhard Dondorf, zeigt sich in seinen Ansichten mit agnostischer Distanz kritisch gegenüber allen Religionen, den Antisemitismus durchschaut er mit Witz. Mit innovativer Technik und eigenen Erfindungen zur Chromlitographie entstehen in seiner Druckerei zahlreiche Produkte der Luxuspapierindustrie – z.B. der Druck von Wertpapieren und mit höchster Handwerkskunst hergestellte Spielkarten. Nachdem der Standort in der Altstadt wegen eines Großauftrags aus Japan über fälschungssichere Banknoten zu eng wird, baut Dondorf 1873 in Bockenheim eine neue Fabrik. 1890 folgt dahinter ein weiterer Bau, der heute noch stehende Backsteinbau der Dondorfdruckerei mit ihrem markanten Schornstein. Nach dem 1. Weltkrieg geht die Produktion allmählich zurück, die einzelnen Firmenanteile werden verkauft. Das ganze Grundstück mit allen Gebäuden erwirbt 1928 die Uniondruckerei und erweitert die Anlage um ein modernes Verlags-und Verkaufsgebäude zur Bockenheimer Landstraße hin. Ab 1929 wird unter anderem auf einer riesigen Fünfrollen-MAN-Druckmaschine die seit 1889 erscheinende Tageszeitung der SPD, die Volksstimme, hergestellt.

1933 wird die Uniondruckerei von bewaffneter SA besetzt, die Eigentümer werden um ihr Hab und Gut gebracht. Die Familie Dondorf wird nach der Nazi-Rassenlehre verfolgt. Der Enkeltochter Clara Dondorf gelingt die Flucht in die Schweiz. Die Nachfahren der Dondorfs Ella Otilie und Marie Nanny begehen vor der angekündigten Deportation Selbstmord im Haus in der Myliusstraße. Helene Neumann, Enkelin des Firmengründers, wird mit ihrem Sohn zuerst in die Großmarkthalle gebracht, dann nach Lodz deportiert, beide sterben dort. Olga Friedeberg, geb. Dondorf gelingt die Flucht nach London.

Auf den von den von den Nazis beschlagnahmten Maschinen in Bockenheim wird zu dieser Zeit das nationalsozialistische Volksblatt mit der Beilage Der Aufmarsch – Blatt der Hitler-Jugend gedruckt. Gauleiter Streicher packt angesichts der Wunderwerke der Technik die Gier, er lässt die große Fünfrollen MAN Maschine nach Nürnberg verfrachten, auf der dann das Propagandablatt, der Stürmer gedruckt wird.

1944 bombardieren die Amerikaner den Industrie- und Rüstungsstandort Bockenheim. Von den Gebäuden der Druckerei bleibt, wenn auch beschädigt, nur der Backsteinbau von 1890, erstaunlicherweise auch der mit Spielkartenmotiven verzierte große Schornstein im Trümmermeer rundum stehen.

Die Zeit des Nationalsozialismus endet. Nach notdürftiger Reparatur des Gebäudes kommt die MAN Maschine wieder dahin, wo sie hingehört: zurück in die ehemalige Dondorfsche Druckerei – die Union-Druckerei. Die SPD-Zeitung Volkstimme geht hier schon wieder ab 1946 in Druck, kann sich aber nicht halten. Ab 1954 wird die Union- zur Stammdruckerei des DGB und expandiert, sodass 1959 ein Grundstückstausch zwischen der Union-Druckerei und der Stadt, bzw. der damals noch städtischen Universität ausgehandelt wird. Auf dem zerstörten Uniondruckereigelände an der Bockenheimer Landstraße wird 1964 die Stadt-und Universitätsbibliothek entstehen. 1961 zieht mit der der Universität eingegliederten Hochschule für Erziehungswissenschaften auch unter anderem das Institut für Kunstpädagogik in der Dondorfdruckerei ein, die Schwarz-Weiß-Fotografie in der U6/U7-Haltestelle zeugt davon. Es ist eins der letzten Universitätsinstitute, die im Herbst 2022 das Gebäude verlassen und in den Campus Westend umziehen. Heute ist das Gebäude, das sich selbstverständlich in das Stadtbild fügt, gerade auch als Kontrast zur angrenzenden modernen Wohnarchitektur und im Zusammenspiel mit dem Depot ein Anziehungspunkt für junge Leute. Hier treffen sie sich zum Bier oder zum Foto-Shooting.

Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Frankfurt schätzen die Bedeutung des Gebäudes, und viele von ihnen haben sich mit der Initiative „Leben – Lernen – Arbeiten: Dondorf Frankfurt“ und dem Verein für Ortsgeschichte „Freunde Bockenheims“ lange Zeit um die Erhaltung der Dondorfschen Gebäudes gekümmert und eine lesenswerte Broschüre herausgegeben (siehe Internetseite der Freunde Bockenheims).

Trotz aller Bemühungen und des Antrags des Ortsbeirats 2 hat das Landesdenkmalamt das Gebäude 2016 nicht unter Denkmalschutz gestellt. Zwar trägt der Bau sichtbare Narben des Krieges und des hastigen Wiederaufbaus: Es fehlt der historische Zinnenkranz rundum auf dem Dachgeschoß. Und die mangelnde Pflege zur Erhaltung z.B. der Fassaden während der universitären Nutzung der letzten Jahrzehnte hat auch ihre sichtbaren Spuren hinterlassen. Dies dürften aber keine hinreichenden Gründe zur Ablehnung sein. Eine tiefergehende Argumentation ist auf beiden Seiten nochmals notwendig auch in Hinblick auf die historische Bedeutung des Gebäudes innerhalb des Stadtgefüges.

Das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik hat dankenswerter Weise einen Architekturwettbewerb ausgeschrieben, der die Erhaltung und Einbeziehung des alten Industriebaus in den Neubau vorsah. Der Siegerentwurf wurde auch deshalb preisgekrönt weil er diese Aufgabe meisterlich löste. Trotzdem gibt es nun eine Abrissplanung. Es stellt sich die Frage, ob bei der Denkmalschutzprüfung die historische Dimension ausreichend bewertet wurde. Sollte nicht auch die Erzählstärke all der Geschichte(n), die in dem Gebäude stecken, für künftige Generationen berücksichtigt werden?

Wäre es nicht einige Überlegungen wert, die notwendigen Mittel aufzubringen und den historischen Bau, wie geplant, doch noch zu integrieren?  Museumsräume, in der Industriegeschichte und Objekte wie z.B. eine der riesigen Druckmaschinen steht, könnte ein Gewinn für die Stadtgesellschaft sein. Mit den Möglichkeiten des Instituts könnte eine 3-D-Augmented-Reality-Erzählung dieser wechselreichen, verworrenen, traurigen, aber doch auch wieder ermutigenden Geschichte des Gebäudes, der Stadt und der auf diese Weise lebendig gebliebenen jüdischen Familie Dondorf erzählt werden.

Seit 2006 ist die Druckerei Dondorf Teil der Route der Industrie-Kultur.

Es wäre ein gutes Startsignal für den Kulturcampus Bockenheim: Ein von Geschichtsbewusstsein getragener, attraktiver Bau des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik, den sich die Forschenden mit Freude aneignen würden.

Abschließend sei bemerkt, dass eine Ausstellung im DAM gerade darauf hingewiesen hat, dass Abrisse unter Klimaschutzaspekten nicht mehr zeitgemäß sind. Eine Bewegung junger Architekten fordert ein allgemeines Abriss-Moratorium weil in den üblichen Kostengegenüberstellungen die CO-2-Einsparungen einer Erhaltung von Bauteilen nicht eingerechnet sei.

 

Autoren: Dr. Konrad Götz, Sozialwissenschaftler, in Zusammenarbeit mit Cordula Kähler von den Freunden Bockenheims

Quelle der historischen Informationen: “Die wechselvolle Geschichte eines Industriedenkmals – Alte Druckerei Dondorf” Frankfurt am Main 2012. Herausgeber: Freunde Bockenheims. Autor: Friedhelm Buchholz. Die Broschüre ist zur Zeit vergriffen, eine Neuauflage wird vorbereitet. Siehe auch:  https://www.freunde-bockenheims.de/